Gletscher-Klima an der Talstation Diavolezza

Gletscher und Eisschilde sind wichtige Wasserspeicher für den globalen und regionalen Wasserhaushalt, die vom Klimawandel stark beeinflusst werden. Hier an der Talstation der Diavolezza Bahn werden Zusammenhänge dargestellt, lokale Anpassungsmassnahmen entwickelt und vorgestellt sowie Besucher motiviert, sich für die Thematik begeistern zu lassen.

Ice Stupa Seil-Entwicklung für Ladakh (Indien)

Um den vor allem für die Landwirtschaft problematischen Wassermangel in der Wüstenlandschaft des westlichen Himalajas (Ladakh) zu beheben, legte Sonam Wangchuk künstliche Gletscher aus Schmelzwasser an, die er Eisstupas nennt. Im Frühjahr leiden die Bergbauern, die in den Bergen von Ladakh im Transhimalaja auf 3.500 Metern ü. d. M. leben, unter akuter Wasserknappheit. Der ladakhische Ingenieur Sonam Wangchuk entwickelte eine erstaunlich einfache Lösung, konische Eishügel, die an die tibetischen Stupas erinnern, aus abfließendem Schmelzwasser der Gletscher anzulegen. Diese Eisstupas verhalten sich wie Minigletscher und geben in der Zeit, in der die Pflanzen Bewässerung brauchen, langsam Schmelzwasser ab.

Angelehnt ist Wangchuks Design an die Experimente des Ingenieurs Chewang Norphel, eines Kollegen aus Ladakh, der flache künstliche Gletscher angelegt hatte. Wangchuk kam jedoch zu dem Schluss, dass konische Eishügel die geringste Oberfläche haben und deshalb auch in niedrigeren Höhen in der Sonne besser geschützt sind und weitaus langsamer schmelzen als flache Eisfelder. Somit stellen sie eine praktikable Lösung dar. Der 2014 gebaute Prototyp lieferte rund 1,5 Millionen Liter Schmelzwasser für die Bewässerung der 5.000 von den Einheimischen angepflanzten Bäume. Sonam Wangchuk erhielt in 2016 in Hollywood für seine Erfindung den «Rolex Award for Enterprises».

Mit dem Verschwinden von Gletschern gehen grosse Wasserspeicher verloren. Eine 2019 im Wissenschaftsmagazin «Nature» veröffentlichte Studie zeigt, dass mehr als 221 Millionen Menschen direkt und 800 Millionen zumindest teilweise auf Gletscherwasser aus dem Himalaya-Gebirge angewiesen sind. In einigen Gebieten in der Region ist die Situation bereits so dramatisch, dass Umsiedlungen unumgänglich sind. Eine einfache Möglichkeit, um den Bauern in Ladakh während der Trockenzeiten zur Bewässerung zu helfen, ist also der Bau von Ice Stupas. Der Churer Architekt Conradin Clavuot reiste zusammen mit Felix Keller nach Ladakh ins Himalaya-Gebirge und sie beschäftigten sich mit dem Bau von Ice Stupas. In unserer Anlage entwickeln wir eine neuartige Technik, die Ice Stupa ab einem Seil zu erstellen, um die Effizienz und die Sicherheit zu erhöhen. Im Herbst 2016 entstand der erste Ice Stupa Europas im Val Roseg (Samedan, Pontresina). Fotos: Mayk Wendt

Dank Ice Stupa Seil mehr Sicherheit und Effizienz

Probleme an der bestehenden Ice Stupa Technologie sind das Zufrieren der Wasserdüse und Leitungen und die Sicherheit bei der Verlängerung der Leitung im Innern der Ice Stupa. Einmal gefrorene Wasserleitungen sind fast nicht mehr frei zu bekommen. Reparaturen sind schwierig und gefährlich. Ziel dieses Projektes ist die Verbesserung der Technologie, so dass diese Stupas autonom entstehen können ohne, dass die Leitungen zufrieren und ohne Risiko bei der Erstellung. An der Talstation Diavolezza in Pontresina wird nun erstmals mit einer an der Hochschule Luzern (HSLU) entwickelten Technologie versucht, Ice Stupas ab einer am Seil montierten Wasserdüse zu erzeugen. Das erleichtert die Wartungsarbeiten und ermöglicht ein Verschieben der Düse. Der Kern des Projektes liegt darin, den Wasserfluss und die Eisproduktion zu kontrollieren. Das System wird soweit automatisiert, dass sich die Wassermenge den Umgebungsbedingungen anpasst und bei Gefriergefahr automatisch ausgeschaltet und entleert wird.

Testanlage für Schneiseil

Für das lokale Beschneien eines Gletschers sind verschiedene Aspekte zu berücksichtigen. Die Installation herkömmlicher Schneilanzen ist aufgrund der Beschaffenheit des Untergrundes (Permafrost- und Gletschergebiete) nicht möglich. Zudem sollte möglichst keine elektrische Energie für den Wassertransport und die Schneeerzeugung notwendig sein und es muss genügend Schmelzwasser vorliegen. So entstand die Idee eines bodenunabhängigen Beschneiungssystems. Dabei werden neu zu entwickelnde Beschneiungsseile mit Schneeerzeugern über den Gletschern angebracht. Die Schweizer Firma Bartholet Maschinenbau AG ist auf dem Weltmarkt führender Hersteller von Seilbahnsystemen. Die Firma Bächler Top Track AG hat zudem ein Patent auf das «Nessy» System, das eine stromfreie Schneeproduktion möglich macht.

Beteiligung von Innosuisse

Die Schweizerische Agentur für Innovationsförderung hat ihre Unterstützung für das Projekt zugesagt. Im Juni 2019 reichte die Academia Engiadina zusammen mit der Fachhochschule Graubünden (FHGR) bei der Schweizerischen Agentur für Innovationsförderung (Innosuisse) das Projekt ein. Unter der Co-Leitung von Dr. Felix Keller (Academia Engiadina Samedan und FHGR) und Dr. Dieter Müller (FHGR und HSLU) verfolgt das Technologie-Entwicklungsprojekt «Bodenunabhängiges Beschneiungssystem» zusammen mit Forschungs- und Industriepartnern die Gletscherrettungsidee. Das Projekt in Höhe von 2.5 Millionen Franken und einer Dauer von 30 Monaten ist bewilligt. Innosuisse übernimmt dabei die Hälfte der Kosten. Das Innosuisse-Projekt verfolgt die technologische Entwicklung. Die Hochschule Luzern (HSLU) ist in diesem ambitiösen Projekt für die Entwicklung der neuartigen Schneidüsen in Zusammenarbeit mit der Firma Bächler Top Track verantwortlich, während die Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) die Beschneiung simuliert. Besondere Beachtung findet auch die Seiltechnik (Klemmen, Schwingungsverhalten). Dieser Aspekt erfolgt über die Zusammenarbeit des Innerstaatlichen Technikums Buchs (NTB) mit der Firma Bartholet.

Schmelzwasser-Recycling

Modellrechnungen mit einem Klimaszenario von 0.022 °C Temperaturanstieg pro Jahr zufolge, kann eine ganzjährig schneebedeckte Fläche von 0.8 km2 den Schwund des Morteratschgletschers innerhalb von 10 bis 15 Jahren massiv abbremsen. Wenn man das massenweise anfallende Schmelzwasser des Gletschers möglichst hoch oben sammeln, in Form von Schnee wieder recyceln und so dem Gletscher zurückgeben würde, könnte das Gletscherschmelzen verzögert werden – der Begriff «Schmelzwasser-Recycling» entstand. Was passiert also, wenn man Gletscher mit Schnee abdeckt? Das war eine zentrale Frage, die sich der Glaziologe Felix Keller an der Academia Engiadina in Samedan zusammen mit Johannes Oerlemans von der Universität Utrecht (NL) im Auftrag der Gemeinde Pontresina seit 2015 stellte. Es folgten zahlreiche Studien und Feldversuche im Oberengadin und eine rechnerische Machbarkeitsstudie wurde durchgeführt und wissenschaftlich publiziert (Oerlemans et al., 2017). Als deren Grundlage diente die weltweit längste Energiebilanz-Messreihe auf einer Gletscherzunge, welche vom Team von Johannes Oerlemans auf dem Morteratschgletscher (seit 1995) gemessen wurde. Zudem liegen aus dem Schweizerischen Gletschermessnetz Längenmessungen seit 1878 vor. Es konnte rechnerisch dargelegt werden, dass unter den heutigen Bedingungen sogar ein Gletscherwachstum (Zunahme der Länge) in 10 Jahren möglich sei, wenn man 10 % der Gletscherfläche mit Schnee ganzjährig abdecken würde.

Schneeproduktion ohne Strom

Es braucht Gletscherschmelzwasser, eine Strahlpumpe, genügend Wasserdruck und eine raffinierte Technologie für die Schneeproduktion ohne Strom. NESSy ZeroE heisst die bahnbrechende und bereits patentierte Entwicklung. Damit kann klimaneutral und umweltfreundlich der schützende Schnee hergestellt werden. Über die Nutzung der wissenschaftlichen Basis und den Einbezug der sich in Entwicklung befindenden Schneiseil-Technologie wird in der Vorstudie MortAlive nun erstmalig eine Planungsarbeit für die möglicherweise weltweit erste grossangelegte Pflege eines Gletschers zum Erhalt eines Süsswasserspeichers erstellt. Die Vorstudie kann nur dank dem Engagement der Graubündner Kantonalbank entstehen. Aus dem Jubiläumsprojekt #gkb2020 wird diese Studie finanziert.

Natürliche Rahmenbedingungen

Jeder Gletscher wird von vielen unterschiedlichen natürlichen Einflussfaktoren beeinflusst. Alleine schon bei der meteorologischen Ausgangslage muss zwischen den Luft-, Schnee- und Eistemperaturen, der lang- und kurzwelligen Strahlungsbilanz, verschiedenartigen Niederschlägen und stark variablen Windsystemen unterschieden werden. Doch auch die Hydrologie (Abfluss und Wasserhaushalt), Topographie und Geologie sind wichtige Teilaspekte. Die im Zusammenspiel aller genannten Einflussfaktoren resultierenden Naturgefahren sind bei einem Gletscher von grosser Bedeutung. Im ersten Teil der MortAlive Vorstudie werden die relevanten natürlichen Rahmenbedingungen aufgezeigt.

Bauplanung

Im zweiten Teil der Studie werden wichtige Vorarbeiten für die Bauplanung erörtert. Insbesondere der Schmelzwasserrückhalt und die davon abhängende Wasserlogistik sind von zentralem Interesse. Sechs bis sieben Schneiseile sind für MortAlive vorgesehen die auf Höhe der Bovalhütte über den Gletscher gespannt würden und auf einer Fläche von ca. 1 km2 den Gletscher ununterbrochen mit Schnee zudecken würden. Für die Bauplanung bedeutet dies, dass die Anordnung der Schneiseile und die dazu notwendigen Fundationen geplant werden müssen.

Ausrüstung- Auslegung

Im dritten Teil geht es um die Spezifikation der Anlage selbst. Wasser- und Luftleitungen müssen dimensioniert, Druckluft muss damit erzeugt und die Schneiseile auf die zu ermittelnde Anzahl Düsen ausgelegt werden. Gleichzeitig müssen auch die Schnittstellen zwischen allen Teilsystemen klar definiert werden.

Betrieb, Kosten, Unterhalt und Bewilligungsverfahren

Auch hinsichtlich Betrieb, Kosten und Unterhalt gilt es besondere Herausforderungen zu meistern, denn das MortAlive Projekt macht nur Sinn, wenn man es von Anfang an auf eine Projektdauer von mindestens 30 Jahren auslegt. Sowohl Finanzierung wie auch Betrieb müssen deshalb sorgfältig überlegt werden. Das zu definierende Bewilligungsverfahren muss dem hohen Schutzgrad der einmaligen Gletscherlandschaft rund um den Piz Bernina Rechnung tragen. Dies kann nur gelingen, wenn auch sämtliche Aspekte zur Nachhaltigkeit miteinbezogen werden.

Gletscherabdeckung mit Vlies

Vliesabdeckungen werden in verschiedenen Skigebieten eingesetzt. Auf dem Diavolezza-Gletscher im Oberengadin in der Schweiz werden sie bereits seit mehr als 10 Jahren erfolgreich eingesetzt. Die Vliesabdeckungen sind eine der einzigen erfolgreich umgesetzten Methoden, um Schnee und Gletscher zu konservieren, indem sie den darunterliegenden Schnee vor dem Schmelzen schützen. Die Sonnenstrahlung wird durch das weiße Material reflektiert, und im Durchschnitt können 50-60 % des darunter liegenden Schnees konserviert werden. Man fragt sich nun vielleicht, warum man nicht eine Vliesabdeckung verwendet. Vlies ist nur für kleine Gletscher geeignet. Große Gletscher sind zu groß und haben zu viel Eisbewegung. Das Material, das zur Abdeckung der Gletscher verwendet wird, muss widerstandsfähig sein, rauen Elementen/der Zeit widerstehen und weiß sein, um die Sonnenstrahlen zu reflektieren und zu isolieren. Das auf der Diavolezza verwendete Vlies ist aus Polypropylen hergestellt, ein thermoplastisches Polymer, das zu 100% recycelt werden kann und bis zu 5 Jahre hält. Wir streben eine Untersuchung an, um ein nachhaltigeres und ökologischeres Material zu finden, das die gleichen oder bessere technische Vorteile als das jetzige besitzt.

Wer ermöglicht diese Anlage?

Daniel Karbacher Fonds (Hauptsponsor)

Stiftung zur Förderung der Hochschule Luzern - Technik & Architektur

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Was machst du für das Klima?

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Kontakt

Talstation Diavolezza
CH-7504 Pontresina
+41 81 839 39 10
info@glacierexperience.com

Anreise

Öffnungszeiten

Täglich: 09.30 Uhr bis 16.00 Uhr

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